Hinter dem Thore, eine halbe Stunde vor der Stadt
Der Karlsruher Hauptfriedhof
Bereits zum zweiten Mal musste der christliche Friedhof der Stadt Karlsruhe aus Platzgründen verlegt werden und man begann daher zur Mitte des 19. Jahrhunderts mit ersten Planungen zu einer neuen Erschließung. Die sich immer stärker entwickelnde Residenz verfügte jedoch nicht über ausreichende Gemarkungsflächen, weshalb der damalige Oberbürgermeister Wilhelm Lauter gezwungen war Verhandlungen mit der Gemeinde Rintheim zu führen, um von ihr das benötigte Land zu erwerben. Da man sich nicht einig wurde stellte die Stadt einen Antrag auf Enteignung an das Großherzogliche Ministerium, der zunächst abgelehnt, aber wegen fehlender Alternativen letztlich doch bewilligt wurde.
Auf der Fläche von 15,3 Hektar entstanden daraufhin die Entwürfe des Karlsruher Stadtbaumeisters Josef Durm zur Gestaltung der Gesamtanlage und den Eingangsgebäuden mit der Kapelle. 1874 wurde das Gelände als erster kommunaler Parkfriedhof eröffnet und zwei Jahre später die Kapelle eingeweiht.
Durm lehnte sich an die Prinzipien der englischen Gartengestaltung an und schuf einen Friedhof zum Gedenken und Lustwandeln. Entgegen der bis zu dieser Zeit üblichen barocken, strengen und symmetrischen Form einer solchen Anlage modellierte er die Landschaft mit Rasenflächen, Baumgruppen, einem künstlich aufgeschütteten Hügel und von Platanen und Eiben gesäumte, geschwungene Wege, die den Blick in die Tiefe des Geländes erst wieder an der nächsten Biegung frei gaben.
Den Campo Santo mit der großen Kapelle errichtete Josef Durm im Stil der italienischen Frührenaissance. Der Säulengang mit den sich darunter befindenden Gruften zeigt deutliche Bezüge zum florentinischen Findelhaus und die Fassade der Kapelle ist an die kleine Kirche St. Bernadino in Perugia angelehnt. Durm betont die Vielfalt der verwendeten Materialien wie Sandstein, Jaumont und Marmor, ebenso wie den symbolischen Gehalt des mit Ähren, Früchten und einer nach unten gedrehten Fackel geschmückten Frieses zum Zeichen der Vergänglichkeit.
Für die Menschen in Karlsruhe bedeutete der neue Friedhof aber zugleich auch eine Veränderung ihrer Gewohnheiten. Nicht nur dass das Erreichen des weit außerhalb gelegene Geländes zunächst noch mit einer halben Stunde Fußmarsch verbunden war, es sollte damit auch die alte Traditionen der häuslichen Aufbahrung und des Leichenzugs durch die städtischen Straßen gebrochen werden.
Nach knapp 30 Jahren musste die Anlage erweitert werden. Im Zentrum des im Südwesten angrenzenden neuen Gebietes entstand 1904 eines der ersten Krematorien Badens nach den Plänen des Architekten August Stürzenacker, die heutige kleine Kapelle.
Um den leicht angehobenen Bau liegen zahlreiche Ehren- und Gedenkfelder des Ersten und Zweiten Weltkrieges, wie „Mutter und Kind“ des Bildhauers Erich Lipp aus dem Jahr 1955 oder das von Carl Egler geschaffene Denkmal für die 289 Euthanasieopfer des Nationalsozialismus.
Noch bis 1980 musste die Fläche immer wieder ausgeweitet werden, doch mit der weiterhin steigenden Zahl an Einäscherungen ist der Platzbedarf deutlich zurückgegangen.
Sowohl in dem durch Josef Durm zuerst erschlossenen Gelände, als auch in den später entstandenen Erweiterungen finden sich zahlreiche Grabstätten bekannter oder für die Stadt bedeutender Persönlichkeiten. Darunter Gedenkstätten für Reinhold Frank und Ludwig Marum, Ehrengräber für Bürgermeister, Minister und andere Personen städtischer und staatlicher Institutionen oder im Zusammenhang mit der Universität und den Akademien stehende Professoren und Künstler.
Stetige Veränderungen unseres gesellschaftlichen Lebens zeigen sich auch in der Friedhofskultur. Karlsruhe geht hier mit großem Beispiel voran beginnend mit den Landschaftsgräberfeldern, dem Friedpark oder den Trauerstätten für Erwachsene wie Kinder. Ein Vorbild an dem sich mittlerweile zahlreiche deutsche Friedhöfe orientiert haben.
Heute hat der Friedhof mit seiner rund 140jährigen Geschichte eine Größe von 34 Hektar erreicht.